Stellungnahme von sächsischen Rechtsreferendar*innen zu einem verurteilten „Rechtsextremisten“ in den eigenen Reihen


Am 18.05.2020 teilte die Pressesprecherin des Oberlandesgerichts Dresden mit, dass der wegen des Überfalls am 11. Januar 2016 auf Connewitz rechtskräftig zu einem Jahr und vier Monaten wegen schweren Landfriedensbruchs verurteilte Brian E. nicht aus dem öffentlich-rechtlichen Ausbildungsverhältnis zum Volljuristen entlassen werde (vgl. Legal Tribune Online vom 18.05.2020). Das Landgericht Leipzig hatte die Berufung des angehenden Juristen E. gegen das Urteil des Amtsgerichts Leipzig vom 28.11.2018 (vgl. unseren Prozessbericht) im Dezember 2019 verworfen. Anfang Mai wies das OLG Dresden schließlich auch die Revision von E. zurück. Trotzdem soll er sein im November 2018 begonnenes Referandariat beenden und die Prüfung zum zweiten Staatsexamen ablegen können.

Zu dieser Entscheidung haben 234 Rechtsreferendar*innen im Freistaat Sachsen am 29.05.2020 eine Stellungnahme veröffentlicht, die wir hier dokumentieren.

Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen in der SPD Leipzig (AsJ Leipzig) hat sich ebenfalls dazu geäußert und fordert die Rechtsanwaltskammern auf, Brian E. nicht als Rechtsanwalt zuzulassen (SPD Jurist/-innen zu verurteiltem Rechtsreferendar Brian E: Keine Anwaltszulassung wegen Opferschutz)

Pressemitteilung: Seit einem Jahr ein Trauerspiel – Justizmarathon gegen Neonazis gleicht einer Farce

Heute, am 16. August 2019 jährt sich der Beginn der Verhandlungen gegen die Täter des “Sturms auf Connewitz” am Amtsgericht Leipzig. Die Prozessbeobachtungsgruppe 1101 begleitet seit Beginn die Verhandlungen. Es ist die zeitintensivste Prozessreihe gegen Neonazis in Leipzig, deren Umfang aber in keinem vernünftigen Verhältnis zur Sachaufklärung steht. Lediglich 216 Täter und eine Täterin wurden durch die Polizei ermittelt, darunter rechte Hooligans, Neonazi-Kampfsportler und Rocker. Sie griffen am Abend des 11. Januar 2016 bewaffnet mit Totschlägern und anderen Schlagwerkzeugen den antifaschistisch geprägten Stadtteil Connewitz an und verletzten mindestens 3 Personen, zusätzlich entstand ein Sachschaden von
ca. 113.000 €. Ein Anwohner wurde von einem Metallgeschoss in seiner eigenen Wohnung verletzt. Die Aktion wurde monatelang vorher vorbereitet, die Täter sind aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Von vermutlich 250 bis 300 Neonazis, die daran beteiligt waren, wurden aufgrund der dilettantischen Beweissicherung durch die sächsische Polizei lediglich 217 ermittelt, eine zweistellige Anzahl ist laut Augenzeugen geflüchtet. Pressesprecherin Alex Berg von der Prozessbeobachtungsgruppe 1101 erklärt dazu: “Diese Prozessreihe bietet die Chance, umfassende Erkenntnisse über die ostdeutschen Nazi-Netzwerke zu gewinnen und mehrfach vorbestrafte Neonazis endlich für ihre Taten einzusperren. Das Geschehen am Leipziger Amtsgericht und den umliegenden Gerichten, die mit dem Fall “Sturm auf Connewitz” betreut sind, ist aber eine riesige Farce.” Bis heute wurde durch die Leipziger Justizbehörden kein Strukturermittlungsverfahren eingeleitet. Stattdessen werden in vielen kleinteiligen Verfahren je 2 bis 4 Angeklagte innerhalb weniger Stunden abgehandelt. Mit Ausnahme eines Falls sind alle bisher rechtskräftigen Urteile Bewährungsstrafen. 34 Verhandlungstage sind innerhalb eines gesamten Jahres verstrichen und lediglich 16 Personen wurden rechtskräftig verurteilt. Insgesamt warten noch über 164 Personen auf ihre Verhandlung.
Über 3 ½ Jahre nach der eigentlichen Tat wurden insgesamt weniger als 1/8 der Angeklagten rechtskräftig verurteilt. Ein weiteres Achtel der Angeklagten befindet sich aktuell in zweiter Instanz. Sollten die Verhandlungen – trotz der gerichtlichen Oberflächlichkeit und Ignoranz – mit dieser Geschwindigkeit weitergeführt werden, so wird sich die Prozessreihe noch bis 2026 ziehen. Das letzte Urteil im Fall Connewitz könnte damit über 10 Jahre nach der Tat verhängt werden. Alex Berg
dazu: “Allen vorran die Leipziger Staatsanwaltschaft und das Amtsgericht machen ihren Job einfach nicht. Sie geben sich mit oberflächlichen Einlassungen der Angeklagten zufrieden, ignorieren widersprüchliche Aussagen oder bagatellisieren das Ganze als Jugendsünde.” Im Fall von Nik W. attestierte Staatsanwältin Daute dem bereits vorbestraften Täter sogar eine positive Kriminalprognose – “so etwas ist lächerlich”, so Berg weiter.
In Zeiten eines öffentlich präsenteren Rechtsterrorismus mit Mord- und
Brandanschlägen auf politische Gegner und Migrant_innen ist es das Mindeste, Gerichtsprozesse so führen, dass ein Aufklärungswille zu erkennen ist – sowohl bei der Polizei, dem Verfassungsschutz als auch den Gerichten. Hier bietet die Prozessreihe gegen die 217 Angeklagten eine Chance, zu mal manche der Angeklagten von bekannten Anwälten der Neonaziszene, wie Wolfram Narath, Olaf Klemke oder Dirk Waldschmidt vertreten werden. Auch Frank Hannig, Anwalt des für den Mord an Walther Lübke angeklagten Stephan E., vertritt einen der Angklagten im Prozess. “Wir fordern von den Ermittlungsbehörden und dem Leipziger Amtsgericht die vollwertige Beweisaufnahme, die Benennung der
Körperverletzungsdelikte in den Prozessen und die Identifikation der
Rädelsführer.” so Berg abschließend. Vor allem die Einbeziehung der
Kommunikationsprotokolle und der Telefondaten sowie die bisher ignorierten Körperverletzungen sind für die Wahrheitsfindung entscheidend. Bisher deutet jedoch alles auf eine weitere verpasste Chance seitens der staatlichen Behörden hin, effektiv gegen Neonazi-Strukturen vorzugehen und aufzudecken, wie diese agieren.

Prozessbeobachtungsgruppe 1101
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twitter.com/1101prozess

Drei Jahre nach dem Neonazi-Angriff auf Connewitz – Eine Zwischenbilanz

Vor drei Jahren verübten Neonazis im Stadtteil Connewitz einen der größten rechtsextremen Angriffe der vergangenen Jahre. Seit August 2018 laufen am Amtsgericht Leipzig die ersten juristischen Prozesse. Eine umfangreiche Aufklärung steht jedoch in weiter Ferne.

Von Prozessbeobachtungsgruppe

Als am 11. Januar 2016 der Leipziger Pegida-Ableger Legida im Stadtzentrum seinen ersten Jahrestag feierte, u.a. mit einem Auftritt von „Kategorie C“-Sänger Hannes Ostendorf, verübten rechte Schläger im Stadtteil Connewitz einen der größten Angriffe der vergangenen Jahre in Leipzig. 250 bis 350 Neonazis aus Sachen und weiteren Bundesländern randalierten im linksgeprägten Leipziger Süden. Bewaffnet mit Totschlägern, Zaunlatten, Messern, mindestens einer Axt und Sprengsätzen griffen sie Läden, Autos und auch Personen an. Es entstand ein Sachschaden von über 100.000 Euro. 215 von ihnen wurden noch am Abend von der Polizei festgesetzt, ein nicht unbedeutender Teil entkam.

Im vergangenen Jahr, also zwei Jahre nach dem Überfall auf  Connewitz, hat die Staatsanwaltschaft Leipzig gegen 202 der festgesetzten Neonazis Anklage wegen besonders schwerem Landfriedensbruch erhoben. In den meisten Fällen müssen sich jeweils zwei Personen gleichzeitig vor Gericht verantworten, so dass mindestens 103 Prozesse angesetzt sind. Einige Tatverdächtige müssen sich in Dresden im Rahmen der Prozesse gegen die Mitglieder der sogenannten Freien Kameradschaft Dresden (FKD) verantworten. 

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Pressemitteilung der Gruppe „prozess1101“

Kritische Prozessbeobachtung zum Nazi-Überfall auf Connewitz gestartet. Auf www.prozess1101.org werden die Verhandlungen gegen die Täter vom 11.01.2016 dokumentiert.

Leipzig, den 17.08.2018

Mit Pyrotechnik, Messern, Äxten und Totschlägern bewaffnet, zogen am 11. Januar 2016 mehr als 200 Neonazis und rechte Hooligans durch den Leipziger Stadtteil Connewitz. Sie verletzten mehrere Passant_innen, schlugen Schaufenster ein und zerstörten einen Imbiss mit einer Kugelbombe. Connewitz gilt als linker Kiez, ist deswegen bei Neonazis und anderen Rechten besonders verhasst.

Am gestrigen Donnerstag begann am Amtsgericht Leipzig die juristische Aufarbeitung dieses Neonazi-Überfalls. Zur kontinuierlichen Dokumentation der mehr als einhundert Prozesse in Leipzig, Torgau, Eilenburg und Grimma hat sich eine ehrenamtliche Gruppe zur Prozessbeobachtung zusammengefunden. Auf der Internetseite www.prozess1101.org werden die Verhandlungen gegen die derzeit 202 Angeklagten dokumentiert und ausgewertet.

„Angesichts der Prozesslawine besteht die Gefahr, dass wichtige Erkenntnisse über die Täter untergehen oder schnell in Vergessenheit geraten“, sagt Alex Berg, Sprecher_in von „prozess1101“. „Mit der Dokumentation stellen wir der Öffentlichkeit eine Ressource zur langfristigen, kritischen Begleitung der Prozesse zur Verfügung.“

Zur Motivation der Gruppe führt Berg weiter aus: „Wir wollen der Deutung entgegenwirken, dass es sich bei dem Angriff um eine unpolitische Hooligan-Aktion gehandelt hat. Im Vorfeld hielt es die Staatsanwaltschaft nicht für nötig, ein Strukturermittlungsverfahren anzustreben. Viele Details, etwa welche Strukturen hinter dem Angriff stehen, sind deshalb weiterhin nicht geklärt.“

Die Prozessdokumentation ist selbstorganisiert und kann durch Spenden unterstützt werden.

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Betreff: „Spende Connewitz“

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