Prozess gegen Martin K. und Dennis W.- Tag 2

23. August 2018: Hauptverhandlung gegen Martin K. und Dennis W. – Tag 2

Am 23.08.2018 endete der 1. Prozess am Amtsgericht Leipzig. Die Angeklagten Martin K. und Dennis W. wurden schließlich wegen schweren Landfriedensbruchs zu jeweils 1 Jahr und 8 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Die Angeklagten befinden sich zum Zeitpunkt des 13.06.2019 beide in Berufung. Während der Verhandlung bedrohten anwesende Neonazis, die als Unterstützer der Angeklagten auftraten, Teile der Öffentlichkeit.

Allgemeines

Die Verhandlung wurde am zweiten Tag in einen größeren Gerichtssaal mit ca. 80 Plätzen verlegt. Auch an diesem Tag müssen Handys müssen wieder abgegeben werden, wer als Presse zu Beginn damit fotografiert, muss sie danach abgeben. Justizbeamte fragen mit Nennung der Namen von einzelnen Journalisten nach noch abzugebenden Handys.
Es sind wieder zwei Neonazis zu Beginn im Publikum anwesend (später auch noch mehr). Eine Person aus dem Publikum wurde im Gerichtssaal von Neonazis bedroht.

Fortsetzung Beweisaufnahme

Videoaufnahmen

Die Beweisaufnahme wird fortgesetzt. Gezeigt werden die zur Akte gehörenden Videoaufnahmen. Darunter sind Szenen, die von AnwohnerInnen gefilmt wurden, Szenen zur Festsetzung der Gruppe, aber auch mehrere Minuten lange Aufnahmen vorbeilaufender Teilnehmer einer Legida-Gegendemo. Auf den Videos der AnwohnerInnen ist eine größere Menschengruppe erkennbar. Es sind Alarmanlagen und Feuerwerkskörper zu hören, während Einzelpersonen aus den Mob herauslaufen und Sachen beschädigen. Einzelne sind nicht schwarz gekleidet. Auf einem Anwohnervideo zur Festsetzung ist zu erkennen, wie eine Person über eine Grünfläche flüchtet. Bei den Aufnahmen der Festsetzung ist erkennbar, dass ein deutlich überwiegender Teil der Gruppe bis zum Schluss der Aufnahmen vermummt ist. Ein vermummter Mann aus dem Mob wedelt im Vordergrund deutlich erkennbar mit einem länglichen Gegenstand (vermutlich eine der Zaunlatten) herum. Weiter wurde von der Gruppe gerufen „Wo wart ihr Silvester?“, „wir erinnern euch daran!“, „Erschieß mich lieber, bevor ich hier runter geh!“, „Das sind genau die hier, die euch immer mit Steinen beschmeißen!“, Anti-Antifarufe, Lügenpresserufe, „Verpisst euch!, „Jetzt habt ihr die große Chance!“ in Richtung der Polizei. Einzelne Personen versuchen offenbar durch ihre Sturmhaube zu rauchen.

Schließlich wird den Angeklagten nochmal zur Möglichkeit gestellt, sich einzulassen. Nachdem sie dies verneinen, werden einzelne Beweismittel zur Verlesung gestellt (im Selbstleseverfahren), u.a. zu den festgestellten Schäden, aber auch zur Auswertung der Whats-App-Kommunikation und zu den Bewegungsprofilen aus der Handy-Auswertung. Richter Pirk lehnt den Antrag zu den Mobiltelefon-Daten ab, da von den beiden Angeklagten keine Telefone festgestellt wurden und Zeuge S. zur allgemeinen Auswertung genügend berichtet habe. Die Verteidiger haben keine Anträge. Daraufhin wird die Sitzung unterbrochen.

Plädoyer Staatsanwaltschaft

Nachdem die Beweisaufnahme abgeschlossen wurde, verliest die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer. Sie hält an ihrer Anklage fest und sieht es nunmehr als erwiesen an, dass sich am 11.01.2016 250- 300 Personen des maßgeblich rechten Spektrums sowie der Fußballszene verabredeten, in der Wolfgang-Heinze-Str. Gewalttätigkeiten zu begehen. Gegen 19:20 Uhr liefen sie auf das Kommando „Hooligan, Hooligan“ geschlossen stadteinwärts Richtung Connewitz Kreuz. Sie waren überwiegend vermummt und ausgestattet mit Schlagwerkzeugen, darunter eine Axt. In dieser Gruppierung hätten sich die Angeklagten befunden und bereits durch das Mitlaufen in entsprechender Kleidung Solidarität zur Gewaltbeteiligung gezeigt. Das Begehen der Gewalt sei auch für die Angeklagten voraussehbar gewesen. Wie festgestellt, habe sich ein großer Teil bereits im Vorfeld über Mobiltelekommunikation dazu verabredet. Die Staatsanwaltschaft gesteht den beiden Angeklagten zu, dass ihnen selbst keine der Beschädigungshandlungen nachgewiesen worden seien. Dies habe die Staatsanwaltschaft aber auch gar nicht behauptet, das Mitlaufen genüge.

Die Staatsanwaltschaft betont die Geschlossenheit der Gruppe. Sie seien geschlossen festgesetzt worden. Der einzige Zweck dieser Gruppe sei es gewesen, „eine Schneise der Verwüstung durch die Wolfgang-Heinze-Str.” zu verursachen. Die ganze Gruppe habe Gewaltbereitschaft ausgestrahlt, weswegen nicht anzunehmen ist, dass jemand nur zufällig in die Gruppe geraten sei. Auch habe sich nach Beginn der Gewalttätigkeiten niemand von der Gruppe distanziert (z.B. durch Flucht). Zur Problematik, ob einige aus dem Kessel zufällig in ein solches Geschehen mitgerissen worden seien, stellt sie ausgehend der Perspektive eines „Normalbürgers“ fest, dass wohl niemand bei einem solchen Zug einfach mitgelaufen wäre, zumal es an diesem Abend sonst sehr ruhig in Connewitz gewesen sei. Die Staatsanwaltschaft geht auch auf die Videos ein, in denen erkennbar die Vermummung nicht abgenommen wird. Die Rufe „Verpisst euch, wir sind wegen der Zecken hier. Wir sind nicht die, die Steine schmeißen, sondern die anderen und die wollen wir haben!“  deutet auch auf Geschlossenheit und dem Umfeld der Täter hin. Es sei zwar keine konkrete Verabredung der Angeklagten nachzuweisen, aber die Verkehrsdaten der anderen Gruppenmitglieder belegen Anreisen aus allen Richtungen zum Parkplatz auf der A14 Richtung Naunhof. Es sei nachgewiesen, dass schon dort viele der Gruppenmitglieder gemeinsam nach Connewitz gereist sind. Eine andere Zeugin konnte außerdem glaubhaft machen, dass die Personenansammlung auf Höhe Wolfgang-Heinzestr./Herderstr. auf einen gemeinsamen Ruf hin stadteinwärts liefen.Auch die einheitliche Kleidung, insbesondere der Kapuzen, spreche nach Ansicht der Staatsanwaltschaft für eine Blockzugehörigkeit. Es sei auch nachgewiesen, dass Einzelne mit Schlagwerkzeugen ausgestattet waren. Sie zählt mehrere schwarze Quarz-/Schlaghandschuhe, Teleskopschlagstöcke, Schlagringe, 1 Axt, Holzlatten mit Nägeln, Reizgas, Hand-Abschussvorrichtung für  Raketen auf. Die Staatsanwaltschaft geht von einem geplanten Vorgehen aus. Die Schadenshöhe betrage etwa 110.000 €, darunter Beschädigungen an 13 Fahrzeugen. Die Gruppe sei sich der geringen Polizeipräsenz in Connewitz wegen der Legidaveranstaltung an diesem Abend bewusst gewesen. Dass es sich um eine organisierte Aktion handelte, müsse den beiden Angeklagten wenigstens auf Höhe der Wolfgang-Heinze/ Ecke Herderstraße klar gewesen sein. Indem sie sich für das weitere Mitlaufen entschieden, hätten sie einen ausreichenden Tatbeitrag geleistet. Allein das Dazugesellen in der gleichen Kleidung zeige nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die Solidarität und Billigung zur Gewaltbereitschaft der Anderen sowie notfalls selbst gewaltbereit zu sein. Das gesamte äußere Erscheinungsbild sollte einschüchternd wirken. Für den Tatbestand genüge zwar schon eine Gefährdung, hier sei es sogar zum Eintritt von Gefahren gekommen. Zur Beteiligung der Angeklagten führt die Staatsanwaltschaft aus, dass ihnen keine eigenhändige Tat nachzuweisen sei. Durch die Vermummung seien einzelne Handlungen natürlich nicht identifizierbar, es liegen auch keine Spurentreffer vor. Nach der Rechtsprechung reiche bloße Anwesenheit nicht aus, um eine Teilnahme zu begründen. Vielmehr sei ein eigenes Interesse an den Tathandlungen notwendig. Für eine notwendige Tatherrschaft genüge es jedoch aus, einen wesentlichen Beitrag zu leisten. Die Staatsanwaltschaft nimmt einen solchen deswegen an, weil die Angeklagten nicht nur anwesend waren, sondern auch mitgelaufen seien. Dies kann deswegen als nachgewiesen gelten, da Connewitz als Stadtteil „der Linken“ gelte und davon ausgegangen werden kann, die Angeklagten haben sich bei der Einkesselung nicht nur zufällig genau am Ort des Geschehens aufgehalten. Auch sei es bei einer solchen Aktion in der „Hochburg des politischen Gegners“ gerade notwendig, einen größeren Personenbund mit hoher Verteidigungsbereitschaft zu organisieren. Dafür sei auch das „einfache Mitlaufen“ von TeilnehmerInnen durchaus als notwendiger Tatbeitrag zu sehen. Die Angeklagten hätten sich bis zum Schluss des Geschehens zu keinem Zeitpunkt distanziert sondern seien zumindest solidarisch mitgelaufen. Damit sieht die Staatsanwaltschaft das vom BGH aufgestellte Merkmal des „ostentativen Mitmarschierens“ als erfüllt an. Gegen die Spontanität der Aktion spreche außerdem, dass einige Personen sogar Reizgas dabei gehabt hätten. Dies deute darauf hin, dass man möglicherweise auch gegen Personen vorgegangen wäre.
Es sei ein bedeutsamer Schaden (über 100.000 €) entstanden, deshalb wird den Angeklagten schwerer Landfriedensbruch nach §125a zur Last gelegt. Nach diesen Ausführungen erklärt die Staatsanwaltschaft ihre Entscheidung zum Strafmaß. Für den Vorwurf der Angeklagten ist ein Strafmaß zwischen 6 Monaten bis 10 Jahren vorgesehen. Strafmildernd wird berücksichtigt, dass die Angeklagten nicht anderweitig straffällig waren und dass ihnen selbst keine eigenen Beschädigungen nachgewiesen werden konnten. Demgegenüber stünden jedoch bestimmte Erwägungen, die für eine höhere Strafe sprechen. Die Staatsanwaltschaft bezieht in ihre Erwägungen ein, dass es ein sehr gruppendynamisches Geschehen war, in der sich die Angeklagten haben mitreißen lassen. Im Hinblick auf die Schadenshöhe sei dies jedoch unbedeutend. Es sei auch kein Versuch der Wiedergutmachung versucht worden, noch gab es Einlassungen der Angeklagten. Für eine hohe Strafe spreche außerdem die Art und Weise des Vorgehens. Unverständlich ist für die Staatsanwaltschaft ferner der Zusammenhang einer potenziell politischen Motivation der Gruppe und die Zerstörung von Ladengeschäften. Schließlich hält die Staatsanwaltschaft Generalprävention in diesem Fall für wichtig und weist auf die Vorgänge in der Leipziger Südvorstadt im Dezember 2015 hin. Für die Frage, ob Bewährung auszusprechen ist (bei Strafen über 1 Jahr bräuchte es zur Bewährung besondere Umstände), stellt die Staatsanwaltschaft folgende Sozialprognose auf: Sie zweifelt aufgrund der politisch rechten Gesinnung der Angeklagten daran, dass künftige Straftaten nicht zu erwarten seien. Für das Aussprechen der Bewährung würde lediglich „die geordnete Lebensführung“ der Angeklagten sprechen. Letztendlich entscheidet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Bewährung, da es sich hier um eine Straftat handle, die geeignet sei, die Rechtsordnung zu gefährden. Das zielgerichtete Vorgehen und die blinde Zerstörungswut, habe das allgemeine Sicherheitsgefühl so stark belastet, dass die wenigen begünstigenden Umstände nicht zu berücksichtigen seien. Die Staatsanwaltschaft beantragt eine Haftstrafe für beide Angeklagten in Höhe von 1 Jahr und 8 Monaten ohne Bewährung.

Plädoyer Verteidigung

Die Verteidigerin Stärk betont, dass sich der Vorwurf nicht bestätigt habe und nur erwiesen sei, dass ihr Mandat unter den festgesetzten Personen war, alles andere sei Spekulation. Es sei nicht klar, wie ihr Mandat dorthin gekommen sei, oder ob er von den Absprachen wusste. Sie begründet die Kleidung ihres Mandanten (Mütze und Schal) mit dem Wetter. Sie erklärt, dass man im Winter nicht mit hellen Jacken aus dem Haus ginge. Sie stellt auch Vermutungen auf, warum sich ihr Mandant an diesem Ort befunden haben könnte. Es könnte sein, dass er am Kreuz war, in die Innenstadt zu Legida wollte, und dann von der heranrückenden Polizei mit in die Auerbachstraße getrieben worden sei. Sie stellt fest, dass er kein Hooligan sei und keine rechte Gesinnung habe. Der Zeuge S. vom LKA habe ihn als Lok-Fan bezeichnet, aber man sollte Lok-Fans nicht pauschal als rechts bezeichen. Sie sagt außerdem, dass – bezogen auf die AnwohnerInnen- Zeugen “das unzuverlässigste Beweismittel“ seien.

Rechtsanwalt Rabe, der Verteidiger von Dennis W., schließt sich den Ausführungen seiner Kollegin an. Er behauptet, dass die Videoaufnahmen und die Aussagen der AnwohnerInnen gezeigt hätten, dass es sich um keine geschlossene Gruppe gehandelt habe.

Es sei nicht nachgewiesen, dass die Angeklagten auch zum Zeitpunkt der jeweiligen Beschädigungen anwesend gewesen seien. Es sei auch kein gemeinsamer Tatplan nachgewiesen. Auch er verweist bezüglich der Bekleidung auf das Wetter.

Außerdem finde er es problematisch, dass sein Mandant als „rechts“ dargestellt werde und er verstehe nicht, wieso das als politische Straftat gehandelt wird. Seiner Meinung bedeute „rechtsgerichtet noch lange nicht Nazi. Nazis seien verabscheuungswert.“.

Urteil

Daraufhin verkündet Richter Pirk sein Urteil, indem er dem Antrag der Staatsanwaltschaft in vollem Umfang entspricht. Für seine Überzeugung seien vor allem die Aussagen von F., N. und Z. maßgeblich gewesen, die in der selben Angelegenheit beschuldigt seien. Der Richter ist überzeugt davon, dass die Angeklagten nicht zufällig vor Ort gewesen seien. Er verweist auf eine „bemerkenswerte Einstellung“ in einem der Videos aus der Auerbachstraße. Dort würden einige Personen „verzweifelt versuchen, eine Zigarette durch eine Sturmhaube zu rauchen“. Dies sieht er als Beleg dafür, dass es dort nach der ersten Aufregung ziemlich locker zuging, etwaige Unbeteiligte sich also durchaus bei der Polizei hätten bemerkbar machen können, was aber nicht passiert sei. Im Wesentlichen schließt er sich der Staatsanwaltschaft an, meint sogar, diese hätte auch eine höhere Strafe beantragen können. Er macht jedoch auch darauf aufmerksam, dass die dunkle Kleidung der Angeklagten keinen Einfluss auf seine Überzeugung hatte. Er stellt wie die Staatsanwaltschaft die Beihilfe der Angeklagten fest, welche er mit dem ostentativen Mitmarschieren begründet. Daraufhin geht er auf die Ausführungen des Verteidigers von W. ein und erklärt, dass es keine Rolle spiele, ob ein Teilnehmer immer in jedem Zeitabschnitt in der Gruppe sei. Dem Richter ist bewusst, dass sich der Zeitablauf bis zur Verhandlung auswirken muss. Jedoch sieht er die Aktion durch Connewitz als eindeutige Provokation an und weist darauf hin, dass „zum Glück aller Beteiligten die gewaltbereiten Linken aus Connewitz offensichtlich bei der Gegendemonstration in der Innenstadt waren“. Für ihn ist die Strafe schließlich deutlich über den unteren Strafmaß anzusetzen. Bewährung wäre “den Bürgern auf der Straße nicht zu vermitteln“, zumal von den Angeklagten keine Einsicht, keine Reue, keine Distanzierung gekommen sei, erforderlich dafür wäre mindestens ein Geständnis gewesen.

Daraufhin haben die Verteidiger gegenüber der Presse geäußert, sie würden in Berufung gehen.  LVZ Online: Gefängnisstrafen nach Neonazi-Überfall auf Leipzig-Connewitz